Montag, 31. Mai 2010

Equilibrismus zündet im Funk

Auf Bayern 2 gab es gestern eine einstündige Sendung zum Equilibrismus. Ich habe die Sendung mit größtem Vergnügen gehört. Sie war informativ, unterhaltsam, fair, spannend, dramaturgisch perfekt aufgebaut und musikalisch gut bestückt. Ich mochte auch die Hörspielelemente sehr. Respekt vor dieser Arbeit!

Wer sich die Sendung als Podcast herunter laden oder nur anhören möchte, geht bitte auf http://www.br-online.de/podcast/mp3-download/bayern2/mp3-download-podcast-zuendfunk-generator.shtml. Dort findet er das Beste, was über das Tahiti-Projekt bisher erschienen ist.
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Donnerstag, 27. Mai 2010

Change it and let it change it

Hier ist ein beeindruckendes Statement über das, was uns im Zeichen des globalen Wahnsinns noch zu tun bleibt: Go there, reach out and touch it. Change it and let it change it...

Es gibt keinen anderen Weg, darüber sollten wir uns im Klaren sein, wenn wir Hoffnung und Zuversicht bewahren wollen. Das Statement stammt von dem amerikanischen Theaterregisseur Peter Sellars. Schaut es euch an, es lohnt sich: http://www.youtube.com/watch?v=NTmCoIcIdyY.
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AGE OF STUPID: Wie es "Die Ökodiktatur" doch noch auf die Leinwand schaffte ...

Am 1. Juni kommt ein bemerkenswerter Film aus England in die Kinos: AGE OF STUPID. "Was wir unseren Kindern und Enkelkindern zumuten, ist fast unerträglich," meinte die britische Dokumentarfilmerin Franny Armstrong und machte sich an die Arbeit. Sie konstruierte eine Zukunftsvision, wonach die Menschheit im Jahr 2055 an ihrem Machtstreben zugrunde gegangen ist. Klimakatastrophe, Kriege um Öl und das Schmelzen von Gletschern sind nur einige der Horrorszenarien, die die Britin darin thematisiert...

Während die Welt in Trümmern liegt, stellt sich ein Überlebender (Pete Postlethwaite) die besorgte Frage: "Warum haben wir den Klimawandel nicht gestoppt, als wir noch die Chance dazu hatten?" In einem riesigen Archiv in der geschmolzenen Arktis, ähnlich einem Bohrturm, in dem das Welterbe aus Museen, Bibliotheken und Datenbanken lagert, rekonstruiert er rückblickend aus dem Jahr 2055, was in der Vergangenheit die Ursachen für das menschliche Scheitern waren. Vis–à–vis mit dem Zuschauer klickt er sich auf seinem Touchscreen durch unzählige Nachrichtenmeldungen und Dokumentationen, die eine erschütternde Bilanz ergeben: Ignoranz und Machtstreben waren die Auslöser für die Katastrophe ...

Erinnert Euch das an etwas? Richtig! Es handelt sich hier um das Staatsarchiv der "Ökodiktatur", die im Jahre 2040 spielt und siebzehn Jahre vor AGE OF STUPID als Buch erschienen ist. Ich behaupte nicht, dass Franny Armstrong sich bei mir bedient hat, vermutlich weiß sie nicht einmal von der Existenz des Romans. Aber ich fühle mich durch die Regisseurin bestätigt, was mir im Nachhinein jedoch nur ein schwacher Trost ist. Als "GO! - Die Ökodiktatur" erschien, hatte der Weltklimarat seine dramatische Warnung noch nicht ausgesprochen, wären wir noch in der Lage gewesen, das Schlimmste zu verhüten. Als ich mich dann vor vier Jahren entschloss, eine aktualisierte Neuauflage der "Ökodiktatur" auf den Markt zu bringen, geschah dies, weil ich gerade die letzten Felle davon schwimmen sah. Im Vorwort heißt es:

"Dreizehn Jahre sind vergangen seit der Erstveröffentlichung von GO! Eine lange Strecke in Zeiten kollabierender Naturhaushalte. Inzwischen hat sich das Klima noch einmal erheblich verschlechtert, sind die im Buch dargelegten Probleme noch gravierender geworden. Gleichzeitig ist in Politik und Wirtschaft eine Verweigerungshaltung zu beobachten, die jede effektive Lösung unmöglich macht. Umweltschutz findet, wenn überhaupt, nur noch am Rande statt - und schon gar nicht, wie es angemessen wäre, in globaler Verantwortung. Viele der in GO! beschriebenen Visionen, die damals als Schwarzmalerei abgetan wurden, sind nahe an die Wirklichkeit gerückt."

Auf YouTube gibt es einen Trailer zu AGE OF STUPID. Dort landet ein Flugzeug der Gesellschaft "GOAIR". Zufall? Ja, aber was für einer...

An dieser Stelle sei noch einmal das Hörbuch von "GO! - Die Ökodiktatur" empfohlen, gesprochen von Dieter Prochnow, Irina Scholz und Hanne Seiffert. Robert Gummlich hat dieses zwischen Hörbuch und Hörspiel angesiedelte Stück produziert.
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Dienstag, 18. Mai 2010

Niemand stoppt MAEVA!

Die Wut hat sich gelegt, das Unverständnis über die Verlags-Entscheidung ist geblieben. Ich war überrascht, wie viele Menschen mir per e-mail und Telefon Mut zugesprochen haben, wie intensiv dieser Blog für Kommentare genutzt wurde. Das hat gut getan, dafür danke ich ganz herzlich. Ich habe gelernt, dass jedes Ding im Leben immer zwei Seiten hat. Wer weiß also, was uns die Absage unseres bisherigen Verlags an hervorragenden Chancen beschert hat...

Mein Plan für die kommenden Monate sieht jetzt folgendermaßen aus: Ich werde mich Anfang Juni einer längst fälligen Operation unterziehen, anschließend die Reha an der Nordsee genießen und Mitte Juli mit frischem Mut und klarem Geist wieder an die Arbeit gehen. Jetzt, da der Zeitdruck von mir genommen wurde, da auch meine Grundsicherung gewährleistet ist (Deutschland hat noch immer eines der besten Sozialsysteme der Welt, vergessen wir das nicht!) , bin ich sicher, dass "MAEVA" ein noch viel besseres Buch wird, als es das bisherige Zwischenergebnis bereits vermuten lässt. Jedenfalls geben wir das Manuskript nicht eher aus der Hand, bis es alle Bedingungen erfüllt, die wir uns vorgenommen hatten.

Der so unerwartet gewährte Zeitkredit versetzt uns außerdem in die Lage, die Verlagslandschaft sehr sorgsam zu sondieren. Wir werden in aller Ruhe die entsprechenden Ansprechpartner suchen, um sie dann im persönlichen Gespräch und ausgestattet mit einem fertigem Manuskript und einer Hintergrundmappe zum Projekt von unserer Sache zu überzeugen. Ich bin sicher, dass "MAEVA" einen Verlag findet, der sich dem Tahiti-Virus mit dem gleichen Engagement widmen wird wie wir selbst.
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Donnerstag, 13. Mai 2010

Aus für "MAEVA"?

Liebe Freunde und Sympathisanten des Tahiti-Projekts!

Gestern ist passiert, was ich eigentlich für unmöglich gehalten habe: Unser Verlag hat den Folgeroman des "Tahiti-Projekts" abgelehnt...

Nun, das ist sein gutes Recht. Verstanden habe ich die Absage allerdings nicht. Der Verlag stellt sich mit dieser Entscheidung gegen die Interessen einer immer breiter werdenden Leserschaft, die im Zeichen kollabierender Wirtschafts- Sozial- und Natursysteme hungrig geworden ist nach einer ehrlichen, kritischen Aufarbeitung der Verhältnisse. Wenn man sich die Mühe gemacht hätte, unsere Aktivitäten zu verfolgen, hätte man feststellen müssen, dass sich rund um das "Tahiti-Projekt" eine Bewegung formiert, aus der sich natürlich auch die Leserschaft des "Tahiti-Virus" (jetzt "MAEVA") rekrutieren läßt. Ein finanzielles Risiko bestand meiner Meinung nach nicht für den Verlag.

Was ist die Begründung für die Absage? Um diese zu verstehen, muss ich all jenen unter Euch, die mit dem Folgeroman noch nicht so vertraut sind, einen kurzen Einblick in die Story geben:

Wir schreiben das Jahr 2028. Die Zustände auf diesem Planeten haben sich dramatisch verschlechtert. Die tahitianische Präsidentin Maeva wird zur Generalasekretärin der URP ("United Regions of the Planet" - eine Art alternative UNO) gewählt und begibt sich nach ihrer Wahl auf Weltreise, um für ihre Ideale zu werben und neue Mitglieder zu rekrutieren. Auf dieser Reise wandelt sie sich in eine Art Jeanne d`Arc der Ökologie, die mit Hilfe des Internets die Herzen von Milliarden Menschen erreicht und damit zu einer echten Bedrohung für den maroden, global agierenden, seelenlosen Raubtierkapitalismus wird. Aber wie schon Jeanne d`Arc, wie jede sendungsbewusste Persönlichkeit der Geschichte, steuert auch Maeva in ihrem kämpferischen Engagement unbewußt auf ihren "Scheiterhaufen" zu. Sie wird Opfer der eigenen Anstrengungen und Triumphator zugleich. Eine hochdramatische, mit einem sensationellen Plot ausgestattete Geschichte, die Auskunft darüber gibt, wie sich die Welt im Jahre 2028 anfühlt, in der wir uns sowohl als Sterbehelfer für ein abgewirtschaftetes System als auch als Geburtshelfer für eine neue Kultur betätigen müssen, wenn wir noch eine Chance haben wollen.

Wie erzählt man eine solche Geschichte? Ich bin der Meinung, dass sie linear erzählt werden muss, immer an den Stationen von Maevas Weltreise entlang, die ja, jede für sich genommen, genügend Zündstoff und Überraschungen bergen. Auf diesem Wege ist es möglich, den Charakter der Protagonistin systematisch aufzubauen, der letztlich unser aller Verzweiflung widerspiegelt. Aber genau an dieser Vorgehensweise stört sich der Verlag. Zitat:

"Dieses Strukturprinzip ist für mich so sehr der innere Kern des Textes, dass mir keine Idee dazu kommen mag, wie man das Ganze möglicherweise anders aufbauen könnte. Zumal Sie die Struktur ja wahrscheinlich auch mit Absicht gewählt haben. Sie sehen mich also hilflos, hilflos auch deshalb, weil ich mir eine Publikation in der jetzt vorliegenden Form bei [...] nicht vorstellen kann. Es müsste sich halt mehr zu einem "klassischen Roman" fügen - und ich wüsste nicht, wie das geschehen soll."

Sie verlangen also einen "klassischen Roman" von mir. Das ist in etwa so, als würde man Strawinski geraten haben, einen auf Beethoven zu machen. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass es bei unserem Thema auf einen "klassischen Roman" nicht mehr ankommt.

Ich habe die Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen - ebenso wie die Tatsache, dass ich durch sie in allerhöchste Existenznot geraten bin. Ich werde die Arbeit an "MAEVA" nach 240 Seiten also unterbrechen, ich habe mich notgedrungen um andere Dinge zu kümmern. Allen Besuchern, die regelmäßig auf diese Seite gegangen sind, danke ich für ihren Zuspruch und ihr Interesse. Ich wünsche ihnen Kraft und Erfolg in allem, was sie im rechten Geist unternehmen.

Alles Liebe
Dirk C. Fleck
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Ausgebremst: Geht doch geht nicht.

Hier noch schnell das letzte Kapitel aus dem zu Vierfünftel fertigem Manuskript, das ich einen Tag vor der Absage des Verlages geschrieben habe. Es ist ein wenig düster, ich weiß, aber schließlich steht Cording kurz davor, zum Verräter an Maeva zu werden...

Cording hockte auf der Mauer am Malecon und blickte aufs Meer hinaus. Hinter ihm knatterten die Fahnen Kubas, Tahitis und der URP im Wind. Die bunte Dreifaltigkeit wurde einem heute in ganz Havanna um die Ohren gehauen. Der Hurrikan, der sich zweihundert Meilen entfernt langsam im Golf drehte, warf zur Feier des Tages eine Schleppe aus Wind und Regen vor Kubas Haustür, während er gleichzeitig den nördlichen Herbst ansog, sodass sich die Hitze der vergangenen Woche spürbar abkühlte.

Zwei Stunden vor der Großkundgebung auf der Placa de la Revolucion war der Malecon wie verwaist. Cording beobachtete die beiden Angler, die das Ufer ganz für sich allein hatten. Ein Mädchen näherte sich ihm von der Seite, sie war hübsch, mit einem klaren, herzförmigen Gesicht und kobaltblauen Augen, die ihn aus einer großen Tiefe anzublicken schienen. Aber diese Tiefe war leer. Sie bot ihm Sex. Für Dollar. Wie nannten die Kubaner einen Touristen wie ihn? Dollarschein auf zwei Beinen. Nein danke, Lady, sehr liebenswert. Sie gab sich schnell geschlagen und schlenderte auf der menschenleeren Promenade unter dem Flaggenwald einsam Richtung Westen, wobei sie sich lasziv in den Hüften wiegte. Sollte der Gringo doch sehen, was er verpasst hatte. Und er sah es. Sie war schön, aber es berührte ihn nicht. Sein Leben war freudlos geworden. Nicht das er es uninteressant fand, aber Freude wollte sich nicht mehr einstellen. Es kam ihm vor, als löste sich mit zunehmendem Alter alles auf, was ihm einmal eine Identität verliehen hatte. Als würde seine Seele im Gegenwind der Zeit von einer Folie befreit, auf der alle bisher gesammelten Eindrücke verzeichnet waren, die es ihm ermöglicht hatten, sich zurechtzufinden und sich Urteile anmaßen zu können. Das Koordinatensystem, in dem er so virtuos seiner moralischen Empörung gefrönt hatte, bröckelte in sich zusammen. Und mit ihm verkrümelte sich die Sprache. Er war kaum noch in der Lage zu kommunizieren, seine Worte begannen sich auf das zu beschränken, was der Alltag ihnen an Banalitäten abverlangte. Eine durchaus komfortable Position, wenn sie denn nicht so häufig missverstanden wäre. Aber auch dieses Missverständnis vermochte er nicht mehr aufzuklären. Er war ein Schweigender geworden, ohne Anspruch und ohne Ziel. Wieder ausgestattet mit der Naivität eines Kindes in einer Welt voller Wunder und Verrücktheiten. Er hatte sich überantwortet. Aber wem?

warum kann ich mich nicht entschließen meinen Arsch von der Mauer zu heben und dort hinzulatschen wo sie heute alle sind ich meine wer bin ich dass ich diesem Ereignis fern bleiben darf wo ihm doch ganz Kuba entgegen fiebert du natürlich nicht Möwe hau ab geh zu den Anglern aber fressen würde ich den Fisch nicht an deiner Stelle warte mal ist das ein Ölklumpen an deinem Schnabel es war Sabotage da bin ich sicher die Amis die armen Schweine jetzt drückt der Hurrican die stinkende Brühe aber richtig an ihre Küsten Indien kann auch nicht klagen dort ist vor drei Tagen ein Schrottmeiler explodiert wer hätte das gedacht und wer hätte vor zwei Wochen gedacht dass die Favelas in Rio nach dem nächsten großen Regen direkt an die Copa Cabana rutschen würden zwölftausend Tote kann man nichts machen in der Ostsee knabbert das Salzwasser seit Jahren beharrlich und erfolgreich an den Ummantelungen von 300 000 dort verklappten Giftgasbomben aus dem zweiten Weltkrieg weg damit nach uns die Sintflut ja Jonathan so machen wir das so machen wir es auch mit dem Atommüll unsere Nachkommen werden das schon deixeln schließlich braucht es nur 24 000 Menschengenerationen um den strahlenden Dreck wirksam unter Kontrolle zu halten oh mein Gott sieht denn keiner dass die menschliche Geschichte ein einziger Alptraum ist aus dem wir besser so schnell wie möglich erwachen sollten acht Milliarden gierige Nager machen sich inzwischen auf der Erde zu schaffen im Kollektiv sind sie unschlagbar im Kollektiv hauen sie mal eben einen ganzen Planeten weg aber wenn man diese Sensibelchen einzeln hernimmt ihnen beispielsweise den kleinen Finger ritzt dann schreien sie wie am Spieß drüben in Pasadena ist eine neue Sternwarte gebaut worden sie soll Aufschluss geben über die Geheimnisse des Weltraums ha wir zoomen mal kurz davon wo ist sie denn unsere kleine Sternwarte kaum noch zu sehen gar nicht mehr zu sehen die Erde ein kleiner Ball in der Finsternis unser Sonnensystem kaum noch zu sehen eins von Milliarden anderer Sonnensysteme und weiter immer weiter in die Unendlichkeit wo ist sie geblieben die kleine Warte in Pasadena die Aufschluss geben soll lächerlich alles lächerlich wozu sind wir hier Möwe was glaubst Du ich will Dir sagen wozu wir hier sind wir sind hier um eine bestimmte Menge Kot auszukacken jeder für sich mehrere Tonnen pro Person die Angler da wie viele Kilos dürfen sie noch abladen bevor sie die Fische in Ruhe lassen he vorsichtig pass auf wo du hinscheißt Jonathan genau das meine ich nur dass wir fester kacken als ihr wir fabrizieren nicht so einen glibberigen Dünnschiss das unterscheidet den Menschen vom Tier naja zumindest von euch komischen Vögeln hör zu Möwe jeder Schritt den ein Mensch tut jeder Gedanke den er denkt jeder Handgriff von ihm ist Teil eines ausgeklügelten Zerstörungswerks unsere Rasse ist von der Evolution nur deshalb eingesetzt worden um diesen Planeten einmal kräftig umzupflügen was ist Jonathan hab doch recht gehabt mit dem Fisch kann doch kein Schwein mehr essen ich weiß warte mal ich hab da hoffentlich noch tut mir leid dachte ich hätte mir ein Brötchen eingesteckt beim Frühstück was guckst du so deine Augen erinnern mich an jemanden sie ist tot aber nett dass du vorbei geschaut hast die Hopis nannten jemanden wie dich einen Messanger sieh an da kommt sie schon wieder die schöne Käufliche vom Malecon einfach nicht hinsehen oder besser aufstehen und von hier verschwinden soll mir keiner nachher sagen können ich sei nicht dabei gewesen

Cording rutschte von der Mauer, um nicht von einer der zahlreichen Gischtfontänen erwischt zu werden, die, vom Nordwind getrieben, den Wall heraufleckten. Er inhalierte die tanggewürzte Luft, betrachtete mit Abscheu die zerschnittenen Fischleiber, welche die Angler als Ködervorrat neben sich liegen hatten und überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte. Egal. Gesternabend war er mit Maeva schon einmal in der Stadt unterwegs gewesen, sie hatte darauf bestanden. Es war ihnen gelungen, sich heimlich aus dem Hotel zu schleichen, ohne dass die Leibwächter etwas bemerkt hatten. Sie war stolz auf ihr Husarenstück, endlich durfte sie sich wieder unbeobachtet unter Menschen mischen, das hatte ihr gefehlt. Unter ihrem tief in die Stirn gezogenem Strohhut fühlte sie sich frei und sicher. Havanna hatte ihr gefallen. Die lärmende Altstadt mit den vielen Gemüse und Lebensmitteläden, die offenen Bars und Hinterhöfe, der Fischmarkt mit seinen kräftigen und schlagfertigen Matronen, der alte Hafen, die engen, verrufenen und doch so einladenden Gassen, in denen lässig und katzenhaft „gefährliche“ Männer mit pockennarbigen Gesichtern herumstanden während Frauen mit Lockenwicklern einen mit erhobener Stirn taxierten – Maeva genoss die Eindrücke wie ein Kind, das man auf den Jahrmarkt geführt hat. Für wenige Stunden war es ihr gelungen, die Bürde ihres Amtes abzustreifen. Hab mich sowieso gewundert, wie sie das auf Dauer aushält, dachte Cording und nahm Kurs auf die „Stadt der Toten“, die sie gestern mit Bedacht gemieden hatten.

Der Cementario Christóbal Colón im Herzen Havannas galt als die schönste Nekropole Amerikas. Mit seinen 56 Hektar war der Friedhof fünfmal so groß wie der nahe gelegene Platz der Revolution, auf dem heute Nachmittag eine Million Kubaner ihren Beitritt zur URP bejubeln würden. Cording schlenderte durch die schachbrettartig angelegten Straßen Havannas, die Hemingway einmal die lebensspendenden Flüsse der Einsamen genannt hatte. Vor dem Hotel Parque Central wurde ein roter Teppich ausgerollt. Ein wichtigtuerischer Herr in livrierter Uniform ordnete an, wo die Blumenkübel hingestellt werden sollten. An der nächsten Ecke plötzlich zwei ineinandergekeilte Wagen. Er mischte sich unter die Schaulustigen, die den Unfall aufgeregt diskutierten. Er diskutierte sogar mit, er war dabei, er gehörte dazu, das tat gut. Polizist müsste man sein. Gehorchen, befehlen, an seinem Platz sein, seinen Platz kennen ... Gott, lass mich lachen, murmelte er und blickte sich um, ob ihn auch niemand gehört hatte.

JANUA SUM PACIS – „Ich bin das Tor des Friedens“ stand auf dem Haupteingang zum Friedhofsgelände. Der 34 Meter breite, aus weißem italienischen Marmor gefertigte Zugang mit den drei romanisch-byzantinischen Bögen flößte Respekt ein, keine Frage. Die drei Figuren, die den Ankommenden aus 22 Meter Höhe vom Sims des Portada Principal begrüßten, ließen Cording fast vor Ehrfurcht erstarren, schließlich symbolisierten sie die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, von denen er nicht gerade im Überfluss besaß.

Entsprechend vorsichtig betrat er das streng gegliederte Gelände, das für die Kubaner mehr war als eine Gedenk- und Beerdigungsstätte. Es war ein Pilgerort, ein Nationaldenkmal. Seit 1866 hatten über eine Million Menschen auf dem Cementario Cristóbal Colón ihre letzte Ruhe gefunden. Darunter dreimal soviel Arme wie Reiche. Dennoch belegten die prächtigen Grabstätten der Wohlhabenden 98 Prozent der Gesamtfläche. 53 000 prunkvolle Familien-Gruften, Mausoleen, Galerien und Grabkapellen gab es in der „Stadt der Toten“. Die Massengräber und Grabplatten der weniger Betuchten fanden sich im Südwesten des Friedhofs. An den Rand gedrängt wurden auch die „Negros y Mestizos“, die Schwarzen und Mischlinge, die man noch bis 1924 in getrennte Totenregister eingetragen hatte. Aber einen entscheidenden Sieg hatten die Unterpriviligierten dennoch davon getragen: mit der 55jährigen afrikanischen Sklavin María Balido war eine der ihren als Erste auf dem neuen Areal im heutigen Stadtviertel Vedado beigesetzt worden.

Cording überlegte, ob er die berühmte Galeria de Tobias besuchen sollte, die auf einer Länge von hundert Metern 562 Felsnischen beherbergte, in denen die sterblichen Überreste von zehntausend Toten in nummerierten Steinkästchen aufbewahrt wurden, unter anderem auch die des Friedhofsarchitekten. Das Mausoleo de los Bomberos, das an die 28 Feuerwehrmänner erinnerte, die 1890 beim Kampf gegen ein Großfeuer in Havanna ihr Leben ließen, und dessen imposanter, von einem Engel gezierter Obelisk weithin sichtbar war, hätte wohl ebenfalls einen Besuch gelohnt, ebenso wie die Grabstätten der kubanischen Prominenz, ob es sich nun um Politiker, Freiheitskämpfer oder Schriftsteller handelte. Aber er konnte sich nicht entschließen, er saß bequem auf seiner steinernen Bank, von der er ein Meer flachgelegter Steinplatten überblickte. Da lagen sie, die Regimenter der still Gewordenen mit all ihrem begrabenen Wissen, mit ihrer Schuld, ihren Träumen und Sehnsüchten. Wie lächerlich und schnell die Stunde unseres winzigen und beweglichen Lebens verstreicht, dachte er und drückte den Rücken durch. Er musste an die Worte Maevas denken, die sie Steve letzte Woche in die Kamera gesprochen hatte und die seitdem im Internet millionenfach abgefragt wurden: Der Mensch der Zukunft muss ein Liebender sein – oder er wird gar nicht mehr sein. Er war sicher, dass sie diesen Satz heute Nachmittag auf dem Platz der Revolution wiederholen würde, er war zu ihrem viel beachteten Credo geworden.

Auf der Bank rechts von ihm saß ein kleines Mädchen und ließ die Füße baumeln. Als er ihr zulächelte, schlug sie die Augen nieder, um nicht gesehen zu werden. Sekunden später sprang sie unversehens auf, wie ein Vogel, der von einem Zweig davon flattert. Eine Familie näherte sich, Mutter, Vater, drei Kinder. Der Vater bat ihn, einige Aufnahmen von ihnen zu machen und drückte ihm eine antiquierte Digitalkamera in die Hand. Cording kam der Bitte gerne nach. Wenn Menschen sich fotografieren lassen, lächeln sie, sind gütig, ihre Seele wirkt rein und unbefleckt. Es ist angenehm, sie so zu sehen, dann hat man das Beste von ihnen. Muchas gracias! De nada!

Er blickte auf die Uhr. Zeit zu gehen. Er würde sich irgendwo ein Plätzchen am Rande der Plaza suchen, einen, der ihm den Rückzug offen hielt, er konnte auf keinen Fall riskieren, von der wogenden Masse absorbiert zu werden. So weit ging seine frisch gewonnene Menschenliebe noch nicht. Er versuchte sich zu erheben, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Sie fühlten sich taub und leblos an und schienen sich jeglichem Befehl zu verweigern. Das kann doch nicht wahr sein! fluchte er und drückte sich mit den Händen von der Bank. Okay, links, rechts, immer einen Schritt vor den anderen. Geht doch...
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Donnerstag, 6. Mai 2010

Programmänderung!

Unser Interview zum Thema "Öko-Utopien/Dystopien und Equilibrismus" auf Bayern 2 hat sich verschoben.

Es wird jetzt nicht am 9. Mai ausgestrahlt sondern am 30. Mai um 22 Uhr 05 auf Bayern 2. Der Sendeplatz heißt: Zündfunk Generator.
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